Mit der fortschreitenden Globalisierung und Spezialisierung hat sich der Trend zum Outsourcing in den letzten Jahrzehnten stetig verstärkt. Unternehmen, die ihre Produktion und Dienstleistungen auslagern, lagern auch ihre Reputationsrisiken und ihre gesellschaftliche Verantwortung aus. Die dementsprechende Bedeutung eines guten Lieferkettenmanagements ist Unternehmen wie auch Anlegern bewusst.
Von Ida Karlsson
Im Corporate Sustainability Assessment (CSA) 2012 hat RobecoSAM eine verbesserte Rahmenbewertung für die Nachhaltigkeit des Supply-Chain-Managements eingeführt. Im Lieferkettenmanagement liegt der Fokus traditionell auf vorgelagerten sozialen Risiken wie den Arbeitsbedingungen, der Kinderarbeit und Mindestlöhnen. Seit einiger Zeit wird das Konzept deutlich breiter verstanden und um eine Vielzahl ökonomischer, ökologischer und sozialer Fragen ergänzt, die alle Bereiche der Wertschöpfungskette betreffen, inklusive der Innovationsstärke.
Im Laufe der vergangenen zehn Jahre haben sich die Unternehmen im Licht von Nachhaltigkeitsaspekten intensiver mit ihrem Lieferkettenmanagement beschäftigt. Diese Entwicklung lässt sich im RobecoSAM CSA beobachten. Angefangen hat das CSA im Supply-Chain-Bereich mit Standards zur Bewertung der Leitlinien für Lieferanten und der Art und Weise, wie die Unternehmen die Einhaltung dieser Leitlinien überprüfen. Daraus entstanden ist ein umfassendes Bewertungsgerüst, das ökonomische, ökologische und soziale Supply-Chain-Risiken genauso berücksichtigt.
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Die Wichtigkeit des Lieferkettenmanagements
Im Lieferkettenmanagement stehen Unternehmen vor dem Dilemma, einerseits die Kosten sowie die Produktionszeiten in ihren Lieferketten zu reduzieren, und andererseits zugleich Verbesserungen in der Nachhaltigkeit und Qualität zu erzielen. Wenn Unternehmen einen bedeutenden Anteil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihrer Umweltauswirkungen an ihre Lieferanten ausgelagert haben, wird das Lieferkettenmanagement zu einem ihrer wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen. Misswirtschaft kann auch zu Lieferkettenstörungen führen, die sich negativ auf den gesamten Betrieb und die finanzwirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens auswirken.
Aus Anlegersicht sprechen mehrere Gründe dafür, das Lieferkettenmanagement der Unternehmen genau im Auge zu behalten. Eine vor kurzem von der Harvard Business School veröffentlichte Studie zeigt, dass Unternehmen, die frühzeitig nachhaltige Praktiken anwenden, langfristig besser abschneiden. Ein weiteres Ergebnis der Studie zeigt: Unter den Vorreitern der Nachhaltigkeit ist auch der Anteil der Unternehmen grösser, die Nachhaltigkeitsleitlinien für ihre Lieferanten eingeführt haben. Potenzielle Risiken einer schlecht gemanagten Lieferkette können zu Produktrückrufen und erheblichen direkten Kosten führen. Daher liegt es im Anlegerinteresse, Unternehmen zu identifizieren, die ihre Lieferketten effektiv steuern und entsprechend profitabel agieren.
Bewertungsrahmen für das Lieferkettenmanagement
RobecoSAM hat einen umfassenden Bewertungsrahmen für das Lieferkettenmanagement der Unternehmen im CSA entwickelt. Der Ansatz betrachtet sieben zentrale Faktoren. Im Mittelpunkt stehen die Risikoidentifizierung und das Risikomanagement sowie die Art und Weise, wie Nachhaltigkeitsaspekte in die übergreifende Supply-Chain-Strategie integriert werden, wie diese die finanzielle Performance beeinflussen und sich damit auf die Unternehmensentwicklung insgesamt auswirken.
Die Analyse der Daten, die seit Einführung des neuen CSA-Bewertungsrahmens für das Lieferkettenmanagement erfasst worden sind, zeigt vor allem eines: Die Unternehmen schenken ihren Lieferketten und der Steuerung der damit verbundenen Risiken und -chancen zunehmend Beachtung. Die CSA-Teilnehmer, die ein breites Spektrum an Branchen vertreten, bezeichnen das Lieferkettenmanagement als eines der finanzwirtschaftlich bedeutendsten Themen. Doch obwohl das Thema mehr Beachtung findet, wird deutlich, dass die Unternehmen bei ihren internen Praktiken erheblich weiter sind als ihre externe Berichterstattung vermuten lässt. Dadurch sehen ihre Stakeholder nicht immer, inwieweit Unternehmen die Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen in ihren Lieferketten aktiv adressieren.
Kritische Beobachtung der Öffentlichkeit fördert fortschrittliche Ansätze
Ein Blick auf die in Abb. 1 dargestellten Durchschnitts- und Spitzenwerte für fünf Branchen zeigt deutliche Unterschiede bei der Umsetzung nachhaltiger Lieferkettenpraktiken auf Branchenebene auf. Dafür gibt es keine einfache Erklärung. Einige der möglichen Einflussfaktoren sind im Folgenden skizziert:
1. Branchen wie die Lebensmittelindustrie und der Einzelhandel, die direkte Kundenbeziehungen unterhalten, werden von der Öffentlichkeit kritisch beobachtet. Für die Lebensmittelhersteller ist die Nachverfolgbarkeit ihrer Produkte das wichtigste Anliegen. Die Endverbraucher wollen wissen, was in den Nahrungsmitteln steckt und woher diese stammen. Im Einzelhandel liegt das Hauptaugenmerk auf den Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern. Dadurch sahen sich die Unternehmen in diesen Branchen gezwungen, ihre Lieferkettenrisiken früher als andere zu adressieren.
2. Branchen wie der Maschinenbau und die Elektroindustrie – deren Lieferketten mit hohen Umweltauswirkungen verbunden sind und die sehr abhängig von Lieferanten und pünktlichen Lieferungen sind – mussten sich ebenfalls frühzeitig mit einem nachhaltigen Lieferkettenmanagement beschäftigen. Der öffentliche Druck ist dabei nur ein Grund. Ein weitaus wichtigerer ist die Notwendigkeit, eine verlässliche Versorgung durch Lieferanten sicherzustellen und gemeinsam mit den eigenen Lieferanten Chancen für die Verringerung der Energiekosten von ausgelagerten, ressourcenintensiven Produktionsprozessen zu nutzen.
3. Auch die Computer- und Büroelektronikhersteller stehen seit einiger Zeit unter kritischer Beobachtung durch die Öffentlichkeit. Entsprechend setzen sie sich vermehrt mit dem Thema auseinander. Die zunehmende kritische Beobachtung der Öffentlichkeit hat den Anstoss für branchenweite Gemeinschaftsinitiativen gegeben, die den hohen Durchschnittswert in dieser Branche ebenfalls erklären können.
4. Serviceorientierte Branchen wie der Finanzdienstleistungssektor stehen im Hinblick auf ihre Lieferketten noch nicht unter hohem Druck. Das ist ein Grund für die niedrigeren Werte und die weniger fortgeschrittene Umsetzung von Nachhaltigkeitspraktiken im Lieferkettenmanagement dieser Branchen.
Unternehmen managen ihre Risiken, bevor sie sie messen
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine effektive Steuerung der lieferkettenbezogenen Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen ist ein ausreichendes Wissen über die eigenen Lieferanten. Nur auf dieser Basis können die Unternehmen bestimmen, welche ihrer Lieferanten von kritischer Bedeutung sind und welche ein hohes ökonomisches, ökologisches oder soziales Risiko darstellen. Wie es so häufig heisst, können Unternehmen „nur das managen, was sie auch messen können“. Paradoxerweise zeigen die im vergangenen Jahr erfassten Daten jedoch, dass viele Unternehmen damit begonnen haben, ihre (wahrgenommenen) Risiken zu managen, bevor sie messen, inwieweit sie diesen Risiken wirklich ausgesetzt sind. Rund 85 Prozent der teilnehmenden Unternehmen geben an, dass sie Lieferantenstandards haben – aber nur 36 Prozent haben eine gut dokumentierte Analyse ihrer Ausgaben durchgeführt.
Für das nachhaltige Lieferkettenmanagement sind die Bewusstseinsbildung, die Nachverfolgbarkeit und die Transparenz von grösster Bedeutung. Es wissen längst nicht alle Unternehmen, wer ihre kritischen und risikobehafteten Lieferanten sind, obwohl die Daten von RobecoSAM zeigen, dass sich diese Zahlen von 2012 bis 2013 verbessert haben.
Standards für Lieferanten – ein erster Schritt, aber was bedeutet er?
Die Einführung eines Verhaltenskodex für Lieferanten steht dabei typischerweise an erster Stelle. Das ist ein sinnvoller Schritt, weil er die Lieferanten zwingt, bestimmte Sozial- und Umweltstandards einzuhalten. Eine genauere Untersuchung zeigt, dass die Qualität dieser Standards sehr stark variiert (siehe Abb. 2)(Figure 7, Seite 19 pdf). Die meisten Unternehmen geben Leitlinien zu Umwelt-, Arbeitssicherheits- und Gesundheitsstandards, Menschenrechten, Geschäftsethik und Arbeitsbedingungen vor.
Standards, welche die Umsetzung von Umweltmanagementsystemen und die Offenlegung von Umwelt- und Sozialdaten verlangen, sind hingegen noch selten. Darüber hinaus verlangen nur rund die Hälfte der CSA-Teilnehmer von ihren Lieferanten, dass sie die gleichen Standards auch für ihre eigenen Zulieferer anwenden. Das bedeutet, dass diese Unternehmen nur die Kontrolle über die Standards haben, die von der ersten Zulieferebene befolgt werden müssen. Die fehlende Transparenz der nachgelagerten Segmente ihrer Lieferketten setzt diese Unternehmen potenziell grossen Risiken aus.
Fazit und Ausblick
In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Unternehmen verstärkt darum bemüht, die ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen ihrer eigenen Geschäftstätigkeit zu managen und darüber zu berichten. Die Lieferkettenanalyse bringt sie hier einen wichtigen Schritt weiter. Sie hilft ihnen, die tatsächlichen Auswirkungen ihrer betrieblichen Tätigkeiten, den Umfang ihrer finanzwirtschaftlich relevanten Risiken und die gesamte Bandbreite an Chancen zu bestimmen, die sich durch nachhaltige Geschäftspraktiken eröffnen. Bei vielen Unternehmen konzentrieren sich die grössten umweltspezifischen und sozialen Auswirkungen sowie Reputationsrisiken vor allem auf die Lieferkette und weniger auf die eigenen betrieblichen Prozesse. Zugleich müssen sich die Unternehmen auf eine zuverlässige, reibungslose Versorgung mit Produkten und Dienstleistungen verlassen können, um ihre langfristige Profitabilität zu sichern. Diese Herausforderungen zu managen und ihre Auswirkungen zu messen, ohne immaterielle ökonomische, ökologische und soziale Faktoren umfassend zu berücksichtigen, ist nicht nur unklug, sondern unmöglich.
Bewusstseinsbildung und Transparenz gewinnen an Dynamik
Die Ergebnisse der Anwendung des verbesserten analytischen Modells zur Untersuchung des Lieferkettenmanagements zeigen, dass das Risikobewusstsein und die Transparenz zwar weiterhin begrenzt sind, viele Unternehmen aber grosse Anstrengungen unternehmen dies zu ändern. In den letzten Jahren haben mehrere Faktoren neue Impulse zur Verbesserung der Lieferkette gegeben. Einer sind die Forderungen der Stakeholder, die von den Unternehmen verlangen, dass sie ihre Massnahmen zur Steuerung ihrer Lieferanten vollständig offenlegen. Ein weiterer neuer Standard ist die Global Reporting Initiative. Diese beinhaltet mehrere Leistungsindikatoren zum Lieferkettenmanagement, die über Menschenrechtsfragen hinausgehen. Daneben haben Investoren wie RobecoSAM begonnen, die Unternehmen zu fragen, wie sie ihre Lieferketten managen. So wollen sie feststellen, ob Unternehmen ihre ausgelagerten Reputationsrisiken und ihre ausgelagerte unternehmerische Verantwortung effektiv managen.
Mehr als Audits und Bewertungen
RobecoSAM wird die eigene Rahmenstruktur zur Bewertung des Lieferkettenmanagements kontinuierlich weiterentwickeln und optimieren, um bei den Unternehmen ein besseres Verständnis und Management von Lieferkettenrisiken und -chancen zu fördern. Der wachsende Konsens unter Unternehmen und Anlegern bezüglich der finanzwirtschaftlichen Bedeutung des Lieferkettenmanagements ist ermutigend. Vor allem wird dies helfen, die Dynamik in diesem Bereich aufrechtzuerhalten und die Umsetzung nachhaltiger Praktiken weiter zu fördern.
Der Beitrag erschien im Original im Jahrbuch Global Compact Deutschland 2013